Zur Psychologie von St. Florian 

Energiewende? Klar, nur nicht vor meiner Haustür! 

Nach Psychologie wird gerade dann gern gerufen, wenn logische Erklärungen das menschliche Handeln nicht mehr erklären. „Das muss Psychologie sein!“ lautet die hilflose wie abschließende Deutung, wenn „panische“ Anleger mal wieder einen unvorhergesehenen Kurssprung an der Börse verursachen. Die Psychologie als Wissenschaft für irrationales Verhalten außerhalb vorhersehbarer Regeln und Gesetze? Kaum einer, der außenwirksam widerspricht.

Es ist auch einfach zu verlockend, den Rätseln menschlichen Handelns eine geheimnisvoll raunende Wissenschaft an die Seite zu stellen. So darf weiter der Kopf geschüttelt werden: Über Gaffer am Schadensort, über gutnachbarschaftliche Serientäter, über skandierende Dresdner oder kaltblütige Pflegekräfte. Auch der umweltinteressierte Mitbürger entzieht sich dem ach so gesunden Menschenverstand: Er tritt ein für grünen Strom und wehrt sich gegen das Windrad vor Ort. „Not in my backyard“, kurz NIMBY, heißt das Phänomen heute, was als St. Florian schon längst bekannt war: Verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an!  


Frühe Bürger-Information als clevere Beraterlösung

Im Fall von NIMBY scheint gegen die wunderliche Widersprüchlichkeit nur noch Information helfen zu können, und zwar möglichst frühzeitige. Folgt man den Hypothesen nichtpsychologischer Forscher und den Akzeptanz-Handbüchern der Ministerien, ist der NIMBY-Bürger zu spät informiert und zu wenig beteiligt worden. Der Umkehrschluss wird gerade teuer falsifiziert: Allerorts akquirieren Agenturen und Kanzleien Informationsveranstaltungen, Roadshows und Planungswerkstätten, in denen besorgte Bürger durch Vorabinformation und Generieren eigener Alternativvorschläge plötzlich unbesorgt oder gar „akzeptierend“ (annehmend, bejahend) werden sollen. Und weil Psychologie so geheimnisvoll ist, fragt auch niemand nach dem konkreten psychischen Mechanismus, der diesen wundersamen Einstellungswandel hervorrufen soll.

Dabei ist spätestens seit Fishbein & Ajzen, 1975, bekannt, dass Informationen mit Verhaltensänderung in keinerlei Zusammenhang stehen. Persönliche Einstellungen ändern sich, wenn überhaupt, als Anpassung an die Meinungen einer attraktiven Gruppe (Konformitätsdruck) oder nach einem bestimmten Verhalten, das zur Einstellungskorrektur zwingt – nicht umgekehrt. Informationen spielen als Auslöser von Einstellungs- oder Verhaltensänderungen überhaupt keine Rolle; sie dienen in ihrem selektiven Gebrauch lediglich rückwirkend als Einstellungs- oder Verhaltensrechtfertigung.

Auch sind viele Menschen unempfindlich gegenüber widersprüchlichen Informationen. Anstatt aufwendige Informations-Konsistenz zu betreiben oder die eigene Informationsbasis zu hinterfragen, wird die Widersprüchlichkeit meist pauschal geleugnet oder bequem ignoriert. Die an Bürgerinformationen beteiligten Wissenschaftler können Bände mit Erfahrungsberichten füllen, wie missliebige Informationen zwanglos aussortiert werden: „Anfangs glaubte ich, die Sprecher fragen um der Antwort willen. Aber die interessierte gar nicht. Es ging oft nur darum, vor Publikum Fragen zu stellen. Da war es egal, dass es immer wieder die gleichen Fragen waren, die schon längst beantwortet waren.“

Sozial streng genormte Bürgerinitiativen

Es ist das Verdienst von Fishbein & Ajzen, soziale Normen (soziale Erwünschtheit des eigenen Verhaltens) sowie die Motivation, diesen Normen zu entsprechen (konformistisches Verhalten), als Ursache für ein bestimmtes Agieren nachgewiesen zu haben. Soziale Normen werden zwar in keiner Planungswerkstatt thematisiert, dafür wirken sie in nahezu jeder Bürgerversammlung – spürbar als hohes Maß an Emotionalität und Gruppendynamik.

NIMBY wirkt also erst dann, wenn man nicht allein ist auf seinem Hinterhof, sondern in guter Gesellschaft mit ähnlich von Veränderung Bedrohten. Wenn diese Veränderungen dann persönliche Nachteile erwarten lassen (und der Status quo ist hierzulande mittlerweile oft so vorteilhaft, dass jede Änderung Nachteile erwarten lässt), ist schnell die sehr attraktive Gruppe gleichen Schicksals beisammen, die gruppenkonformes Verhalten stets auch ohne Umschweife und sehr nachdrücklich einfordert. Beruhigende Aufklärung und „Richtigstellungen“ der Vorhabenträger werden da bereits als infame Demagogie zurückgewiesen. Solange praktizierte Psychologie den Vorhabengegnern, praktizierte Sozialromantik aber den Vorhabenträgern vorbehalten bleibt, wird der Heilige Florian ein oft zitierter Mann sein.